Der Trend zum Zustellen des Kreuzungsbereichs ist ungebrochen
Aus Fernost hört man, ein Milliardenvolk dort sei im Begriff, die Einhaltung sozialer Normen per digitaler Gesichtserkennung und anschließender Bloßstellung am öffentlichen Pranger durchdrücken zu wollen. Wer in China bei Rot über die Ampel geht, sammelt zukünftig nicht nur Minuspunkte auf seinem Konto sozialer Angepasstheit, welches genauso über die Zuteilung einer Neubauwohnung in einer der wie Pilze aus dem Boden schießenden Hochhausstädte entscheiden kann wie über die Zuteilung eines Kindergartenplatzes, sondern er fällt auch öffentlicher Demütigung anheim. An allen erdenklichen Orten (und noch mehr) werden in China Überwachungskameras installiert. Vorbild hierfür mag Großbritannien sein, das seit Jahren mit massenhafter Anbringung solcher Kameras gegen „antisoziales Verhalten“ vorgehen will. Der Aufschrei der hiesigen, freiheitsliebenden Bevölkerung lässt sich ausmalen, wollte man hier Ähnliches beginnen. Haben in Deutschland doch aus historischen Gründen die individuellen Persönlichkeitsrechte der Täter grundsätzlich erst einmal Vorrang vor den Anliegen der Verbrechensbekämpfung und -ahndung.
Repressalien gegen suizidale Fußgänger lehnen wir natürlich ab. Doch begrüßen würden wir eine Strafverfolgung von Fahrzeugführern, die das immer beliebter werdende Zustellen ganzer Kreuzungen praktizieren. Dies nämlich führt dazu, dass wir im alltäglichen Großstadtstau (der seit der automobilen Aufrüstung der Rentner längst kein Berufsverkehrsstau mehr ist) mehrere Grünphasen lang ohnmächtig vor einer Ampelkreuzung ausharren müssen, während der Querverkehr es sich dort unter Missachtung der Straßenverkehrsordnung häuslich eingerichtet zu haben scheint. Einige Kameras mit Richtung Kreuzung, die von den dort befindlichen Fahrzeugführern zur Gesichtserkennung taugliche Portraitfotos herstellten (denn Nummernschilder sind im dichten Stau kaum mehr auszumachen) könnten die Säckel der betreffenden Kommunen mit erklecklichen Strafgeldern füllen; Wiederholungstäter könnten vom motorisierten Straßenverkehr ausgeschlossen werden.
Zugegeben – bei unübersichtlicher Lage kann es auch dem Wohlmeinendsten passieren, dass er gedankenlos in den Kreuzungsbereich fährt, ohne überprüft zu haben, ob es ganz vorn überhaupt weitergeht (verschärfter Strafverfolgung müssten übrigens diejenigen rücksichtslosen Gesellen unterliegen, die auf der Kreuzung noch die Spur wechseln und damit wieder den umsichtig freigehaltenen Bereich zustellen, während der so überholte rücksichtsvolle Fahrer wiederum das Nachsehen hat). Der erzieherische Effekt solcher Strafen bleibt wie immer fraglich.
Also: Bahn frei für die Gesichtserkennung an Verkehrskreuzungen! Von den Chinesen lernen heißt vielleicht nicht erziehen lernen, aber zumindest Geld verdienen lernen!
Pech für die Autofahrer, dass die Politiker den Individualverkehr nicht (mehr) fördern wollen. Wahrscheinlich lachen sich manche heimlich ins Fäustchen darüber, wie sich die Autofahrer gegenseitig das Leben zur Hölle machen. Da tut sich erst was, wenn Leute gestorben sind, wie beim Rettungsgassen-Drama.