Das Ärgern über „gendergerecht“ verbogene Sprache bringt die Gleichberechtigung in Misskredit
Man muss nicht besonders viel Sprachgefühl haben, um die vom Zeitgeist umwehte „gendergerechte“ Sprache störend, umständlich oder hässlich zu finden. Manche würden sie gar heuchlerisch nennen, denn die sprachlichen Auswüchse führen ja erst einmal überhaupt nicht zu mehr Gleichberechtigung, lassen aber den Sprecher / Schreiber vordergründig so erscheinen, als ob er gute Absichten hege und mit der ausgesprochen Nennung zweier (oder mehrerer) biologischer Geschlechter diesen auch schon gleiche Chancen und Rechte eingeräumt habe.
Dabei lenkt die Sprachverformung nur vom Eigentlichen ab: Wer „Bürger und Bürgerinnen“ sagt, will in erster Linie ein persönliches Statement abgeben und am eigenen Image arbeiten. (BTW frage ich mich, warum in solch redundanten Doppelungsfloskeln fast nie die „Verbraucherinnen“ vor den „Verbrauchern“, die „Fahrgästinnen“ 😉 vor den „Fahrgästen“ genannt werden – wäre das eine verpönte, überholte Galanterie?) Darin erschöpft sich schon die Energie der meisten Sprecher, etwas für mehr Chancengleichheit zu tun.
„Doch das Problem ist weniger sprachlicher Art, sondern eine Frage der Macht“, schreibt der ehemalige Verfassungsrichter Paul Kirchhof in einem Beitrag für die FAZ („Die Freiheit des Sprechens“, 24.5.2018, S. 7). Das Gleichberechtigungsanliegen verdiene es nicht, zu einem Sprachärgernis zu werden. Der Kampf für die Chancengleichheit von Frauen und Müttern versandet auf diese Art im Nachdenken und Streiten über falsche oder richtige Sprache, ohne dass damit ein Pfifferling zugunsten benachteiligter Menschen gewonnen wäre.
Passend dazu ein Lektüretipp: „Erwachsenensprache“ von Robert Pfaller. Unter dem Deckmantel der überbesorgten Sprache Minderheiten dominieren und tatsächliche Schieflagen dreist mit der dritten Unisex-Toilette kaschieren.