Über die Sichtweise der Deutschen auf den Wald kann man lange Essays schreiben, nein, ganze Bücher, vom archaischen Kult um heilige Eichen bis „Mein Freund der Baum ist tot“ und postmoderne Ideen – und Bücher sind genügend geschrieben worden. Der Bestsellerstatus von „Das geheime Leben der Bäume“ zeigt, dass der Baum hierzulande dauerhaft auf Interesse stößt. Selbst wer nie wandert, wer nie in den Wald kommt, weiß ihn doch zu schätzen.
Da wundert es wenig, wenn die drohende Rodung eines Waldes – wie jetzt beim Hambacher Forst – auf Widerstand stößt. Wir Deutschen haben ein ganz besonderes Verhältnis zu Baum und Wald. Vielleicht auch andere – ein englischer Freund, der mich das erste Mal besuchte, staunte sehr über unsere großen Waldflächen, die er vom Flugzeug aus hatte sehen können. (Großbritannien ist ja bekanntlich seit dem Altertum fast komplett gerodet.)
Eine (vorgeschobene) ökologische oder kommerzielle Nutzenargumentation braucht der Wald gar nicht: Er ist ein deutsches Heiligtum. Wer einen Baum fällen will, braucht dafür sehr gute Gründe. Wer einen ganzen Wald roden will, ist in meinem intuitiven Denken schon per se im Unrecht, denn ein Wald kann nur gut sein, und ein „Baummörder“ ist immer schlecht – mit dieser Sichtweise stehe ich vermutlich nicht allein.
Ganz wie für die Luft zum Atmen gilt auch für Wälder, dass im Grunde ein Privateigentum an ihnen auszuschließen ist. Dass das deutsche Recht privates Eignen von Wäldern zulässt, irritiert mich immer wieder, besonders wenn ich lese, dass beispielsweise ein Drittel der bayerischen Waldfläche irgendwelchen „Von-und-Zus“ gehören soll. Das mag historisches Recht sein, denn wessen Vorväter die dickere Keule über den Köpfen anderer schwangen, der genießt bis heute adeligen Sonderstatus, was mir in der Regel einerlei ist. Doch ein Privateigentum an erheblichen Waldflächen (jeder Oma sei neben ihrem Häuschen auch ein Hektar Wald gegönnt) ist intuitiv unmöglich – unser Wald gehört allen und niemandem. Ein verbrieftes Eigentumsrecht dürfte demnach nur eine Pflicht zur Pflege oder ein Recht zu dezenter, nachhaltiger Nutzung bedeuten, mehr nicht.
Vielleicht ist diese Sichtweise der Grund, warum der Protest gegen Rodungen so vehement ausfällt. Auch ohne Klimawandel, ohne das Wissen um die ökologischen Funktionen ist uns Deutschen der Wald seit jeher heilig.
An all diejenigen, die sich seit Jahren an der Definition einer deutschen „Leitkultur“ abarbeiten: Dass der Wald uns heilig ist, das gehört zur deutschen „Leitkultur“; doch so wie ein „Leithammel“ ein unbeliebter Geselle ist, so ist der Begriff „Leitkultur“ nun einmal negativ besetzt. Sagen wir, es gehört zum Kern deutschen Gedankenguts, dass man dem Wald und seinen Bäumen nichts antun darf. Nichts!